1. Positionspapiere zu versch. Themen
Stellungnahme der DVJJ-Landesgruppe-Bremen zur Prüfung der Verlagerung des Jugendstrafvollzugs von Bremen nach Hameln
An der Verfassung der Stellungnahme Beteiligte: Vertreter:innen des Jugendgerichts, der Staatsanwaltschaft, der sozialen Dienste der Justiz, der Jugendhilfe im Strafverfahren, der freien Träger der Kinder- und Jugend-, der Drogen- und Straffälligenhilfe.
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Die DVJJ-Landesgruppe Bremen fordert den Verbleib des Jugendstrafvollzugs in Bremen.
In der DVJJ-Landesgruppe Bremen engagieren sich unterschiedliche Berufsgruppen aus dem Jugendgerichtsverfahren mit dem Ziel die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Die DVJJ-Landesgruppe Bremen versteht sich als unabhängiger Fachverband aus Praxis, Wissenschaft und Politik.
Aktuell wird durch die Senatorin für Justiz und Verfassung in Bremen die Verlagerung des Jugendstrafvollzugs aus Bremen in eine niedersächsische Vollzugsanstalt geprüft. Verhandlungspartner der Behörde ist die Justizvollzugsanstalt in Hameln.
Ein Umzug nach Hameln hätte aus unserer fachlichen Sicht weitreichende negative Folgen für eine gelingende Resozialisierung der jungen Menschen in Haft, aber auch für das Land Bremen als eigenständiges Bundesland im Hinblick auf eine effiziente und selbstbewusste Gestaltung der Sozialwirtschaft.
Im Folgenden möchten wir unsere Argumente für einen Verbleib des Jugendstrafvollzugs im Bundesland Bremen näher ausführen:
1. Vernetzung im Sozialraum als Grundlage einer gelingenden Legalbewährung junger Menschen
Die Stadt Bremen kann sich zu Recht eines gut vernetzten und vielfältigen sozialen Hilfesystems mit kurzen Wegen rühmen. Gerichte, Staatsanwaltschaft, Soziale Dienste der Justiz, die Jugendhilfe im Strafverfahren, Träger der Drogen- und Straffälligenhilfe sowie die weitere Trägerlandschaft der freien Kinder- und Jugendhilfe arbeiten eng zusammen, insbesondere auch in der Vernetzung mit der JVA zu Fragen der Haftvermeidung und der Haftentlassungsvorbereitung. Die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit ist durch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Auseinandersetzung deutlich geworden:
Die Lebenswege junger Menschen, die straffällig werden sind häufig gezeichnet von Beziehungsabbrüchen, Armut, Gewalt-, Kriegs- und Fluchterfahrungen. Die jungen Menschen leiden häufig an vielfältigen psychischen Belastungen sowie wirtschaftlicher und sozialer Not. Devianz und Delinquenz wird aus wissenschaftlicher Sicht als Lösungsversuch der jungen Menschen zur Bewältigung der oft multiplen Problemlagen gewertet. Eine Inhaftierung bewirkt einen eklatanten Bruch und eine weitere massive Belastung im Leben der jungen Menschen, gerade auch in der Zeit der Adoleszenz, in der junge Menschen mit ihren Entwicklungsaufgaben beschäftigt sind und sich im Spannungsfeld zwischen der Suche nach Geborgenheit und dem Wunsch nach Autonomie bewegen.
Ein gut erreichbares und funktionierendes Netzwerk des Hilfesystems sowie familiärer und sozialer Bindungen bietet diesen jungen Menschen bereits während ihrer Haftzeit einen Rahmen, um nach der Haft in Freiheit in einem System der Hilfe und Unterstützung anzukommen, das als Grundlage für ein Leben ohne Straftaten unverzichtbar ist. Sie werden durch kurze Wege und den miteinander kommunizierenden Hilfeeinheiten aufgefangen und mit ihren Problemlagen, aber auch insbesondere mit ihren vorhandenen Ressourcen und Stärken gesehen und gefördert. Familiäre und andere soziale Beziehungen werden durch die Wohnortnähe aufrechterhalten und bieten den jungen Menschen emotionale und wirtschaftliche Sicherheit und Stabilität während und nach der Haftzeit. Ein wohnortnaher Jugendstrafvollzug ermöglicht Besuche familiärer Beziehungen, die nicht nur erzieherisch wünschenswert, sondern für Minderjährige gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes geradezu verfassungsrechtlich unabdingbar sind. Während der Haftzeit können durch Lockerungsmaßnahmen Abschlüsse erworben oder Ausbildungen begonnen werden, die nach der Haftzeit fortgeführt oder auf denen beruflich aufgebaut werden kann. Der junge Mensch hat die Möglichkeit sich in Wohnortnähe und in der Nähe seiner sozialen Bindungen in Freiheit zu erproben und erste Stabilitäten aufzubauen und zu prüfen (1).
(1 Verzeichnis der verwendeten wissenschaftlichen Literatur im Anhang)
Der Bremer Jugendstrafvollzug kann an dieser Stelle noch selbst entscheiden, wer für den offenen Vollzug geeignet ist und bei erfolgreicher oder nicht erfolgreicher Erprobung unterstützende Maßnahmen einleiten. Systemische, fallspezifische und ressourcenorientierte Hilfsmaßnahmen, die den jungen Menschen nach der Haftzeit begleiten und unterstützen, können bereits während des Strafvollzugs vor Ort eingeleitet und soziale Kontakte aufgebaut werden, um den jungen Menschen emotional stabilisierende und tragfähige Beziehungen zu bieten.
Ein Umzug des Jugendstrafvollzugs nach Hameln würde dieses gut funktionierende System Bremens durch die Ländergrenzen Niedersachsens und Bremens aushebeln. Der Aufbau eines Hilfesystems würde durch lange Wege und bürokratische Hürden massiv erschwert. Auch bei den jungen Menschen, auch solchen mit Fluchterfahrung, die aktuell in der Jugendstrafvollzugsanstalt in Bremen inhaftiert sind und deren Wohnort offiziell nicht Bremen ist, muss davon ausgegangen werden, dass diese nach der Haftzeit nach Bremen zurückkehren, da sie ihren Lebensmittelpunkt in Bremen verorten und in Bremen ihre sozialen Kontakte und Andockpunkte gefunden haben. Auch hier besteht der hohe soziale Bedarf, den jungen Menschen ein gut funktionierendes Netzwerk zu gewährleisten, um eine gelingende Legalbewährung mit allen verfügbaren Mitteln zu fördern. Der Umzug des Jugendstrafvollzugs nach Hameln würde junge Menschen ohne eine durchgehend stabilisierende Unterstützung in einen nahezu leeren Raum entlassen, in dem der Weg zu neuen Straftaten vorprogrammiert ist. Dadurch würden erhebliche Folgeprobleme und Folgekosten produziert.
Eine enge und stabile Anbindung aus dem Jugendstrafvollzug in Hameln an das Hilfesystem und die sozialen Kontakte in Bremen sowie eine Verzahnung der Hilfen, ist durch die langen Anfahrtswege und die staatlich geregelten Zuständigkeiten nahezu unmöglich. Akteure des Hilfesystems, wie beispielsweise die Jugendhilfe im Strafverfahren, wären für die jungen Menschen dann zwar in Hameln zugänglich, würden jedoch, da sie lediglich in Amtshilfe tätig sind, weder Hilfemaßnahmen anbieten, noch ein Netzwerk aufbauen können. Auch für die notwendige Verteidigung wäre der Bezug zum Mandat erheblich erschwert. Selbst wenn eine gute Überleitung der Hilfen von Hameln nach Bremen gelingen würde – unter der Bedingung, dass die Fachkräfte in Hameln mit dem Hilfesystem in Bremen vertraut sind, wovon kaum ausgegangen werden kann -, würde der Abschied von bestehenden und stabilisierenden Arbeitsbeziehungen zu Akteuren des Hilfesystems, die nach der Haftzeit enden würden, weitere belastende Beziehungsabbrüche im Leben der jungen Menschen bedeuten, die als Risikofaktor für eine gelingende Legalbewährung betrachtet werden müssen.
Insbesondere bei einer bestehenden Suchtmittelabhängigkeit, die bei einer Vielzahl der inhaftierten jungen Menschen vorliegt, sind Beziehungen für eine Bearbeitung der Ursachen der Suchterkrankung unabdingbar und weitere Beziehungsabbrüche nur eine Fortführung und Verstärkung der psychosozialen Belastungserfahrungen der jungen Menschen. In der Folge muss nach der Rückkehr der jungen Menschen nach Bremen davon ausgegangen werden, dass mit den weiteren Belastungen und negativen Folgen derFreiheitsentziehung ein Rückfall in unveränderte Strukturen erfolgt, die eine fortgesetzte Straffälligkeit wahrscheinlich machen.
2. Der Jugendstrafvollzug mit dem Standort Bremen als ökonomisch nutzbarer Faktor und Kernkompetenz eines funktionierenden Sicherheitssystems im Lande Bremen Erfolgsfaktoren des Bremer Jugendstrafvollzugs zeigen sich auf mehreren Ebenen
Ein konzeptionell gut ausgebauter Jugendstrafvollzug (räumlich, fachlich und psychosozial) für junge Menschen, in Kooperation mit einem vorbildlich verzahnten und miteinander kommunizierenden Hilfenetzwerk öffentlicher und freier Träger ist zwar kein Garant, jedoch die unverzichtbare Grundlage einer gelingenden Legalbewährung und Integration junger Menschen. Auch die Unterstützung durch die DVJJ-Landesgruppe Bremen, die in der Vergangenheit viele gelungene Projekte angestoßen und mitfinanziert hat, würde durch eine räumliche Verortung des Jugendstrafvollzugs in Hameln nicht mehr greifen und eine inhaltliche Einflussnahme wäre nicht mehr möglich.
Alle zuvor genannten Komponenten sind zwar stets ausbau- und verbesserbar, bieten jedoch im Lande Bremen bereits ansehnliche Ressourcen der Strafrechtspflege, die durch ihre kurzen Wege, zahlreichen Spezialisierungen und die hervorragende Kooperation, eine Besonderheit im bundesweiten Vergleich darstellen.
Diese Besonderheit mit ihren Chancen und Möglichkeiten aus der Hand zu geben, würde für die Strafrechtspflege und die Jugendhilfe des Landes Bremen einen tiefen Einschnitt bedeuten. Die verzahnte bremische Jugendstrafrechtspflege reduziert Haftzahlen und spart Kosten durch eigenständige und nachhaltige Einflussnahme und Gestaltung von Präventions- und Hilfemaßnahmen. Durch die mit Kooperationsvereinbarungen unterstützte Zusammenarbeit (2) aller Akteure, gelingt ein erziehungswirksamer Jugendstrafvollzug, wie vom Gesetz vorgesehen. (2 Stichwort Handlungskonzept Stopp der Jugendgewalt)
Die hohe Dichte der Angebote für Anschlussmaßnahmen an den Jugendstrafvollzug direkt vor Ort, sowohl stationär als auch ambulant- mit Maßnahmen wie der intensiv betreuten Einzelfallhilfe (ISE), der Erziehungsbeistandschaft (EB), diversen Angeboten betreuten Jugendwohnens, der Drogen- und Schuldnerberatung und der Jugendstraffälligenhilfe mit kurzen Distanzen und enger Kooperation, geben den Gefangenen in der Haft und aus der Haft heraus die notwendigen Ressourcen an die Hand, um ein straffreies Leben zu führen. Im Folgenden sind nur einige der Maßnahmen aufgeführt:
Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (ISE), Erziehungsbeistandschaften (EB), diverse Angebote betreuten Jugendwohnens und spezifische Wohngruppen gem. dem SGB VIII sowie Drogen- und Schuldnerberatung u.v.m.
In der Jugendstraffälligenhilfe sind gem. dem § 10 im JGG u.a. Betreuungsweisungen, Soziale Trainingskurse, Anti-Gewalt-Trainings, Verkehrsunterrichte und der Täter-Opfer-Ausgleich sowie jugendgerechte Arbeitsauflagen gem. § 15 im JGG u.v.m. angesiedelt.
Darüber hinaus würden durch eine Preisgabe des Jugendstrafvollzugs sämtliche lokale Träger der Jugendstraffälligenhilfe geschwächt. Damit einhergehend würde dies bedeuten, den Verlust eines hohen Werts der Prävention und Nachsorge im Lande Bremen in Kauf zu nehmen. Die negativen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen für das soziale Miteinander und die Sicherheit im Bundesland Bremen sind in erschreckender Weise vorhersehbar.
Ein gut funktionierender Jugendstrafvollzug mit dem Standort Bremen ist aus Sicht der DVJJ-Landesgruppe Bremen als hoher Wert anzusehen, der den Status des Bundeslandes Bremen stärkt. Bremen als Bundesland mit eigenem Jugendstrafvollzug kann eigenständig Prävention und damit die Zukunft der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des Bundeslandes Bremen gestalten. Aus diesen Gründen fordert die DVJJ- Landesgruppe Bremen eindringlich den Verbleib des Jugendstrafvollzugs in Bremen.
3. Das Problem der Haftplatzbelegung und der finanzielle Aspekt
Der Jugendstrafvollzug wird in Bremen insbesondere aufgrund von Kapazitätsfragen auf die Probe gestellt. Zurecht muss daher dringend die Frage beantwortet werden, wie Haftplätze kurz- und langfristig frei werden können, so dass eine ausreichende und rechtlich angemessene Verteilung der inhaftierten Menschen gewährleistet ist. Wir als DVJJ-Landesgruppe Bremen möchten hier nicht nur Stellung gegen die Verlegung des Jugendstrafvollzugs nach Hameln beziehen, sondern auch Lösungsvorschläge anbieten, die bei nur geringfügigen Investitionen zu einer Stärkung des Jugendstrafvollzugs in Bremen und einer Reduzierung der Belegungszahlen führen können. Im Folgenden legen wir die Faktoren dar, die es ermöglichen werden, die jungen Menschen früher aus der Haft zu entlassen und gleichzeitig das Rückfallrisiko („Drehtür-Effekt“) zu verringern.
- Nachhaltige Reduzierung der Kosten und Reduzierung der Haftplatz-Belegung durch zügig durchgeführte Maßnahmen
Zu einem gelingenden Strafvollzug gehört eine fachlich begleitete Tataufarbeitung. Anti-Gewalt-Training und Soziale Trainingskurse gehören zu den Formen von psychosozialer
Unterstützungsleistung, durch die inhaftierte Menschen stabilisiert werden und sie zum Erlernen und Erproben von Handlungsalternativen ermutigen, um erneuter Straffälligkeit entgegenzuwirken. Diese Maßnahmen werden in der JVA von sozialpädagogisch und psychologisch geschulten Fachkräften mit langjähriger Erfahrung und hoher Expertise angeboten. Dort wo die personellen Kapazitäten aktuell nicht ausreichen, könnten freie Träger aus dem Stadtgebiet die Maßnahmen durch eigene Angebote in der JVA unterstützen. Durch diese Neustrukturierung würden die inhaftierten Menschen deutlich schneller nach der Inhaftierung an den notwendigen Maßnahmen teilnehmen und die Tataufarbeitung würde nicht nur ergiebiger sondern auch nachhaltiger erarbeitet werden können. Das Mitwirken an diesen (nicht selten verpflichtenden) Maßnahmen bildet u.a. Grundlage für die richterliche Entscheidung über eine frühzeitige Haftentlassung und macht diese tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt realistisch. Zudem könnten gegebenenfalls begonnene erzieherische Maßnahmen, nach der Haftentlassung bei jenen freien Trägern, die die Maßnahmen in der Haft begonnen haben, ohne Wechsel der
Bezugsperson fortgesetzt werden. - Freie Haftplätze durch die Nutzung des offenen Vollzugs Besonders im Hinblick auf die Schaffung von freien Haftplätzen, müssen darüber hinaus auch die Voraussetzungen für einen Wechsel in den offenen Vollzug gelockert werden. Bisher wird ein hohes Maß an Wohlverhalten von den Inhaftierten verlangt, dass diese oftmals schon aufgrund des jugendtypischen Verhaltens meist nicht ausreichend erfüllen können. Der offene Vollzug würde den jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich in Lockerungen zu erproben, um den Weg für eine gelingende Resozialisierung bereits während der Haftzeit zu ebnen. Auch ein mögliches Scheitern der Erprobung kann als Chance genutzt werden, um die Ursachen während der Haftzeit pädagogisch aufzuarbeiten.Aufgrund der genannten Argumente sollte im Bremischen Jugendstrafvollzug jeder junge Mensch, der zu zwei Dritteln der Haftzeit noch keine Haftentlassung zur Bewährung erreicht hat, regelmäßig in den offenen Vollzug verlegt werden. Ausnahmen von dieser Regel sollen selbstverständlich in Bezug auf Kapital- und Sexualdelikte bestehen bleiben.
- Verminderung der Straffälligkeit und einer erneuten Inhaftierung durch eng verzahnte Hilfe Mit dem Fokus auf die Minderung des Risikos einer erneuten Inhaftierung (die wiederum zu Belegung von Haftplätzen führen würde) sind Maßnahmen zu treffen, die den jungen Menschen für ihr Leben nach der Haft eine Perspektive geben und sie stabilisieren. Auch hier könnte das ambulante Bremer Hilfenetzwerk verstärkt einbezogen werden, wie beispielsweise durch das Einsetzen von externen Hilfen bereits während und nach der Haft, die eine nahtlose Betreuung gewährleisten. Für stabilisierende Faktoren, die eine Legalbewährung begünstigen, sind hier die Anbindung an die Sucht- oder Schuldnerberatung und an therapeutische oder pädagogische Hilfen zu nennen. Darüber hinaus könnte eine frühzeitige Zusammenarbeit (auch schon während der Haftzeit) mit der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber und Flüchtlinge (ZASt) dafür sorgen, dass bei jungen Menschen mit Migrationsgeschichte, Hemmnisse der Kontaktaufnahme zu der ZASt abgebaut werden und die geklärten Zuständigkeiten für ein strukturiertes Vorgehen nach der Haft sorgen. Das Risiko, dass die jungen Menschen sich nach der Haft anonym in die Obdachlosigkeit begeben, damit durch das pädagogische Hilfesystem fallen und eine erneute Straffälligkeit wahrscheinlicher werden könnte, würde dadurch verringert. Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass der Verlust legaler Bleibeperspektiven (u.a. durch einen (U-)Haftaufenthalt) junge Menschen in ihrer Entwicklung erheblich beeinträchtigt und weitere Straffälligkeit begünstigt. Im gesamten Prozess ist es für die Legalbewährung junger Menschen dabei unabdingbar, dass die Fachkräfte des Jugendstrafvollzugs, der Jugendhilfe im Strafverfahren und der Bewährungshilfe eng zusammenarbeiten und sich verbindlich und regelmäßig vor Ort zu individuellen Fallkonferenzen treffen und um frühzeitig konkrete Entlassungsvorbereitungen planen und durchführen zu können.
Bei genauem Blick auf die Pläne einer Verlegung des Bremischen Jugendstrafvollzugs in ein anderes Bundesland wird deutlich, dass hierdurch der angestrebte Nutzen, nämlich freie Haftplätze zu schaffen, im Wesentlichen nicht erreicht wird.
Die angebotenen Qualifizierungsmöglichkeiten des niedersächsischen Strafvollzugs werden an Bedeutung verlieren, da sie meist nur für eine kleine Gruppe der jungen Menschen sinnvoll sind. Die Mehrzahl der jungen Menschen verbringen weniger als zwei Jahre in Haft und können in der kurzen Zeit keinen Ausbildungsabschluss erreichen. Eine weiterführende Ausbildung, ohne entsprechende örtliche Vernetzung zu finden, kann für die jungen Menschen zu weiteren destabilisierenden Erfahrungen von Versagen führen, die ohne entsprechende Unterstützungsleistungen eine erneute Straffälligkeit begünstigen kann. Abschließend ist zu betonen, dass die Antwort auf aktuelle
Kapazitätsfragen des Jugendstrafvollzugs in Bremen keine Problemverschiebung beinhalten darf – gerade nicht im Hinblick auf das Potential des Bremer Hilfesystems, dass vorrangig ausgeschöpft werden sollte, um die Kapazitätsfragen aufgrund der dargelegten Argumente innerhalb des Bundeslandes Bremen zu beantworten. Wie bereits ausgeführt, ist zu erwarten, dass ein wohnortnaher Jugendstrafvollzug, sowie die lokale Betreuungs- und Präventionsarbeit auch unter Berücksichtigung der dafür notwendigen Investitionen für sinnvolle Präventions-Projekte langfristig mehr Geld einsparen werden als die Kosten für die Verlegung des Jugendstrafvollzugs.
Für die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ)–Landesgruppe-Bremen, 22.11.2024
Martin Somlev
Vorsitzender DVJJ – Landesgruppe Bremen/ Jugendhilfe im Strafverfahren)
Literatur:
Bereswill, Mechthild (2018): Strafhaft als biographischer Einschnitt. In: Dollinger, Bernd/ Schmidt-Semisch, Henning (Hrsg.): Handbuch Jugendkriminalität. Wiesbaden: Springer VS, S. 729-744.
Bertram, Claus (2004): Wider Den Organisierten Beziehungsabbruch. Entlassungsvorbereitung Als Kontinuierliches Hilfeangebot in Einem Vernetzten System. In: Freiheit Und Unfreiheit, S. 430-446.
Blume, Sarah (2022): Vollzugsöffnung im Jugendstrafvollzug. Öffentliche Überlegungen zu den Chancen, Grenzen sowie Herausforderungen überleitungsorientierter und wohnortnaher Entlassungsvorbereitung. In: Jugend, Recht und Öffentlichkeit–Selbstbilder, Fremdbilder, Zerrbilder: Dokumentation des 31. Deutschen Jugendgerichtstages vom 16. bis 18. September 2021, Online-Veranstaltung, S. 225.
Boxberg, Verena (2018): Entwicklungsintervention Jugendstrafe Lebenskonstellationen und Re-Integration von Jugendstrafgefangenen. Wiesbaden: Springer VS.
Cornel, Heinz, Kawamura-Reindl, G., Maelicke, B. & Sonnen, B. R. (2009). Resozialisierung. Baden-Baden: Nomos.
Cornel, Heinz (2009): Den Vorrang der Erziehung bei delinquenten Jugendlichen ernst nehmen – Vorschläge zur Abschaffung des geschlossenen Jugendstrafvollzugs und Begründung. In: Unsere Jugend 61, Heft 10, S. 402 – 415.
Cornel, Heinz (2011): Durchgehende Hilfen, Vernetzung, regionale Übergangseinrichtungen und soziale Integrationszentren als Basis der Resozialisierung—Empfehlungen für ein Brandenburgisches Resozialisierungsgesetz. In: Neue Kriminalpolitik, 23(4), S. 127-136.
Milán, Julia, Blume, S., Kittler, M. (2018): „Projekt Heimspiel.“ Wo Inhaftierung endet und Freiheit beginnt / Übergangseinrichtung für inhaftierte junge Männer. Evaluationsbericht 2012-2016.
Thiersch, Hans (2008): Ambulante Erziehungshilfen und das Konzept Lebensweltorientierung. In K. A. Chassé & H.-J. von Wensierski (Hrsg.), Praxisfälle der Sozialen Arbeit. Weinheim und München: Juventa, S. 121–133.
Walkenhorst, Philipp/ Fehrmann, Sarah E. (2018): Jugendarrest, Jugendstrafvollzug und Jugenduntersuchungshaft: Grundlegungen – Wirkungen – Perspektiven. In: Maelicke, Bernd/ Suhling,
Stefan (Hrsg.): Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Edition Forschung und Entwicklung in der Strafrechtspflege. Wiesbaden: Springer VS, S. 265-311.
Weichold, Karina/ Blumenthal, Anja (2018): Problemverhalten. In: Lohaus, Arnold (Hrsg.): Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Wiesbaden: Springer, S. 169-192.
Link zur Stellungnahme im Original
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Positionspapier zum Thema „Senkung der Strafmündigkeit“ und zur medizinisch-psychiatrischen Versorgung im Jugendvollzug
BAG
Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendanstaltsleitungen und
besonderen Vollstreckungsleitungen
als kooperierende AG im Verbund mit der DVJJ e.V.
Link zum Positionspapier 2023
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Freiheitsentziehenden Maßnahmen und geschlossene
Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe
BNO Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe
Link zum Positionspapier zum Thema „Geschlossene Unterbringung“
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2. Politische Entscheidungen zur Kriminalpolitik im Lande Bremen
Diversionsrichtlinie Bremen
Der erste Diversionserlass
Gemeinsame Richtlinien des Senators für Justiz und Verfassung,
des Senators für Inneres und des Senators für Jugend und Soziales
zur Anwendung des § 45 JGG bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten
veröffentlicht im Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen Ausgegeben am 20. Januar 1989. Nr. 4
trat am 1. Januar 1989 in Kraft.
2010 wurde dieser Erlass überarbeitet und trat als
Gemeinsame Richtlinien des Senators für Justiz und Verfassung, des Senators für Inneres und Sport und der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales zur Anwendung des § 45 JGG bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten am 1. Mai 2010 in Kraft.
Diversionsrichtlinie Bremen